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BGH, Urteil vom 13.04.2021 – KZR 19/20: BGH fällt zweites Urteil zum LKW-Kartell

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 13.04.2021 sein zweites Urteil zum LKW-Kartell gefällt. Klägerin ist die Betreiberin einer Spedition. Beklagte ist eine der führenden europäischen LKW-Hersteller, die Daimler AG. Die Klägerin hat die Beklagte auf Ersatz ihres kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von neun LKW in Anspruch genommen. Die LKW-Hersteller hatten sich von 1997 bis 2011 hinsichtlich Bruttolisten-Preise abgestimmt. 

Der BGH hat das Urteil des OLG Schleswig als Vorinstanz aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gleichwohl handelt es sich um ein klägerfreundliches Urteil. Dies zum einen aufgrund der Bejahung der Kartellbetroffenheit auch bei mittelbaren Erwerbsvorgängen und zum anderen aufgrund der Ablehnung der Verjährung.

Im Einzelnen:

Der BGH konstatierte, dass das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch entstanden ist. Aufgrund der Absprachen zwischen den Kartellbeteiligten seien die von den Marktkunden zu zahlenden Endpreise gestiegen, ohne den Wettbewerbsverstoß hätten entsprechende Geschäfte demnach zu günstigeren Konditionen abgeschlossen werden können. Der Klägerin sei folglich aus der Abwicklung der in Rede stehenden Erwerbsvorgänge ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden. Der BGH rügte allerdings die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin mit der für ein Zwischenurteil (§ 304 ZPO) erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden sei. Diese Feststellung weise einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. 

Zunächst stellte der Kartellsenat jedoch klar, dass das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die tatsächliche Vermutung, wonach die von den Erwerbern der von den Kartellbeteiligten hergestellten Lastkraftwagen zu zahlenden Marktpreise über denjenigen liegen, die sich ohne die Absprache gebildet hätten, auch im Falle des indirekten bzw. mittelbaren Erwerbs heranzuziehen ist.

Im Anschluss legen die Karlsruher Richter dar, worin nun der durchgreifende Rechtsfehler in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Schadens bestehe. Dabei stellen sie zunächst fest, dass das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH eine Gesamtwürdigung der für und gegen einen durch das Kartell verursachten Schaden sprechenden Umstände vorgenommen hat. Allerdings habe das Berufungsgericht zwei Gutachten übergangen, in denen dargelegt worden sei, dass es bei den Preisen für schwere und mittelschwere Lastkraftwagen von der Beklagten und einer Streithelferin keine ökonomische Evidenz für eine Abweichung der im Kartellzeitraum gezahlten Transaktionspreise vom hypothetischen Marktpreis gebe. Dabei sei das OLG Schleswig von einem Fehlverständnis des Gegenstands der Gutachten ausgegangen, namentlich dass sämtliche Gutachten schon im Ansatz unrichtig ausschließlich davon ausgingen, dass es zwischen den Kartellanten lediglich einen Informationsaustausch gegeben habe. Der BGH führte dazu aus, dass diese Annahme des Berufungsgerichts insgesamt nicht zutreffe. Gegenstand der beiden Privatgutachten sei nämlich jeweils eine Vergleichsmarktbetrachtung, die eine empirische Betrachtung der Preise innerhalb und außerhalb des Kartellzeitraums enthalte und damit im Grundsatz unabhängig von der Wirkungsweise der konkreten Absprachen sei. Damit hätte sich das Berufungsgericht in seiner Gesamtwürdigung auseinandersetzen müssen. 

Letztlich machte der Senat Ausführungen zur Verjährung. Das Berufungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, die nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 für die Verjährungshemmung maßgebliche Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission sei bereits mit der Vornahme der gegen die Kartellanten gerichteten Ermittlungsmaßnahmen am 18. Januar 2011 erfolgt, da die Kommission an diesem Tag erste Nachprüfungen in den Räumlichkeiten der Kartellanten durchgeführt habe. Das Berufungsgericht habe auch den Zeitpunkt des Endes der Verjährungshemmung infolge der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die Europäische Kommission rechtsfehlerfrei berechnet. Es sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Zeitraum der Hemmung nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 gemäß § 204 Abs. 2 BGB erst sechs Monate nach Ablauf der zweimonatigen Frist des Art. 263 Abs. 4 AEUV zur Erhebung einer Klage gegen den Kommissionsbeschluss vom 19. Juli 2016 abgelaufen sei und damit im Streitfall die Verjährungshemmung nicht vor dem 20. März 2017 endete. Damit seien alle Ansprüche unverjährt.

Dieses Urteil führt zur weiteren Klärung von Rechtsfragen des Kartellschadensersatzrechts und stärkt insgesamt die Rechte der Kläger. 

Dr. Edgar Stieglitz
Dr. Edgar Stieglitz